Bilder unserer Seelenanteile

Erst in den letzten fünf Jahrtausenden wich das Bild der allgegenwärtigen Großen Weiblichkeit allmählich dem Bild der patriachalen Götter. Aber in vielen Legenden, Geschichten und Symbolen wirkt das Zeitalter der Erdenmutter und Großen Göttin noch immer.
Ein ewiger Mythos, ein Märchen kollektiver Träume.Die Göttin oder Große Mutter ist ein markantes Symbol des Unbewussten. Immer wieder taucht in unserer Seelenwelt die Eineauf, als junge Frau, als allmächtige gute undböse Mutter, als Himmelskönigin, als Königin der Nacht,als Hexe, als tragende, gebärende, erhaltende und verschlingende Macht.In all diesen weiblichen Symbolfiguren hat die allmächtige Urmutter überlebt. Bindeglied zwischen der Menschheit und den universellen Schöpfungskräften. Das „ewig Weibliche zieht uns hinan“, wusste schon Goethe in seinem Faust auszurufen.
Im Lauf der Menschheitsgeschichte ist das Bild der Frau von Künstlern immer in besonderer Weise gepflegt worden. Mit dem E.V.A.-Projekt trage ich meinen Teil zu diesem wunderbaren Thema bei. Meine frühe Begeisterung für die flämische Malerei und die italienischen Meister des 15.-16. Jahrhunderts sind geprägt von einem idealisierten Bild der Frau voller Anmut und Schönheit. Als junger Künstler in den frühen 70er Jahren begriff ich, dass einem Gesicht Charakter, Seele und Schönheit zu geben höchste maltechnische
Ansprüche an den Künstler stellen. Ich beschloss neben den verschiedensten modernen Ausdrucksformen unbedingt das klassische Handwerk der flämischen Lasurmalerei zu erlernen. In einem Seminar (1973) bei Ernst Fuchs lernte ich, wie die Meister früherer Zeiten mit der Methode der Untermalungen, der Weiß-Höhungen mit Ei-Tempera und transparenten Öl-Lasurfarben geduldig Schicht um Schicht übereinander zu legen. Die realistische Darstellung kann phantastischer sein als jede freie Abstraktion. Die
Phantasie lebt sich aus in Komposition, Atmosphäre,Hintergründen, Symbolen und Gesten.
Aber worauf es dann wirklich ankommt, ist das Porträt. Hat das Gesicht Seele, und wenn ja, welches Gefühl drückt sie aus. Liegen Anmut und die natürliche Erscheinung im Gleichgewicht. Ist ihr Schönheit gelungen, jenes Phänomen, das nicht wirklich erklärt werden kann, sondern nur im Herzen des Betrachters erfühlt wird.


Frauenportraits Ausdruck und Seele zu verleihen, ist immer wieder ein besonders spannender Arbeitsprozess. Wie feinste Farbnuancen, ein Schatten hier, ein Lichtreflex dort den Ausdruck eines Menschen und den Charakter einer Persönlichkeit bestimmen, habe ich vor allem in meiner Neuinterpretation von Leonardos Mona Lisa, dem berühmtesten Lächeln der Welt, neu entdeckt.
Die Geschichte der Kunst vom Mittelalter über die Renaissance bis ins 19. Jahrhundert ist von Frauendarstellungen geprägt. Vor allen Dingen die Mariadiente den Menschen auch weiterhin zur inneren Einkehr und in ihr konnte dieuralte Göttin weiter verehrt werden, auch wenn sie, der christlichen Ikonografie und Welterklärung angepasst, nur noch die demütige, liebende und mütterliche Seite der Frau abbildete.
Die Bilder des E.V.A.-Projekts spiegeln für mich das Bild der Frau in der modernen, westlichen Kultur wider. Ganz dem Zeitgeist entsprechend, schlüpft sie in viele Rollen, pflegt eigene Ansprüche und Bedürfnisse, ist attraktiv, eigensinnig und weitgehend selbstbestimmt. Da wir dem E.V.A.-Projekt die Metapher „Theater des Lebens“ zugrunde gelegt haben, konnte ich in prächtigen Kostümen schwelgen, malerische Ausdrucksformen und klassisch anmutende Gestalten verwenden. Mit den so entstandenen Bildern der Frau als Königinihres Reiches bis hin zu ihrem Selbstverständnis als Sophia, die Weisheit, war ich bestrebt, eine große Bandbreite von Aspekten des modernen „In der Welt seins“darzustellen. Die Bilder sind natürlich eng mit den Texten verknüpft. 


Mein Lieblingsbild: Das Gesunde Selbst als Sinnbild und Quelle des Überflusses der Natur und der Zuversicht. Ihr Zauber ist Sinnlichkeit, Heiterkeitund kosmische Verbundenheit. Den Kelch des Lebens in Händen haltend. Die Frage nach einem Sinn des Lebens führt ihre pure Existenz ad absurdum. Sie ist – nackt, unschuldig, selbstvergessen. Und wenn sie ihre Erscheinungsform zieren will, so tut sie es mit Bemalung oder Tattoos als Zeichen ihres Eigen-Sinns. Faszinierend die Schönheit, die Würde und die Persönlichkeit des weiblichen Geschlechts, die ihr eigene Spiritualität, vor der ich als Mann nur bewundernd meinen Respekt und meine Liebe zum Ausdruck bringen kann. Eine Würdigung des Lebens.
Unsere Spiegelneuronen und in Jahrtausenden erworbenes Wissen erkennen in Bruchteilen von Sekunden, in welchem Gefühlszustand unser Gegenüber sich befindet. Dieses Phänomen unserer internen Bildverarbeitung zu berücksichtigen, stellte mich vor große Herausforderungen. Schließlich sollte sich der Ausdruck sowohl mit dem Thema des jeweiligen Rollen-Motivs decken, als auch die Identifikation der Betrachterin begünstigen. Schön sind meine Frauenbilder dabei geworden, manchmal sicher schöner als man sich beim Blick in den Spiegel selbst empfindet. Doch mit dem inneren Auge und dem Auge der Freundin, des Freundes betrachtet, ist jede Frau ein zauberhaftes Geschöpf. Um die Persönlichkeit und Charakteristik der Frauengestalten zum Ausdruck zu bringen, gestaltete ich „Idealporträts“. Es sind erfundene Charaktertypen, die das Wesen, nicht jedoch die realistische Erscheinung einer bestimmten Person versinnbildlichen sollen.
Ich danke an dieser Stelle von Herzen, Anne Wagner, Andrea Urban, Maike Günther, Iris Merlino und meiner Partnerin Marlies, die sich als Modelle zur Verfügung stellten.


Klaus Holitzka